Täter und/oder Opfer
Stand Januar 2013
von Regina Heilweck
Was erfahren wir aus den Akten des Landesarchivs Speyer?
Etwas über die Opfer wie z.B. Otto Michel, geb. am 05.04.1898, Arbeiter, und vom 14.03.1933 bis 19.03.1933 im Lager Neustadt inhaftiert, dann vom 30.03.1933 bis 09.04.1933 im Gefängnis Kaiserslautern.
Er hat in der Saarbrücker Arbeiterzeitung einen Bericht veröffentlicht über die Zustände im Lager Neustadt. Er schreibt von Misshandlungen – Schlägen und Tritten u.a. weil ein Gefangener Zigarettenblättchen in seinem Hut versteckt hat. Er berichtet auch von Zahm, der aus dem Fenster des 3. Stockes gesprungen ist und schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht wurde. Michel war allerdings irrtümlicherweise der Meinung, dass Zahm verstarb, was nicht der Fall war. Zahm hat überlebt, hatte aber ein Leben lang an den Folgen des Sturzes zu leiden. Vom 10.07.1935 bis 10.07.1938 war er wegen der „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ im Zuchthaus Straubing.
Der Vorstand des Zuchthauses vermittelt der Gestapo ein recht positives Bild von Michel. Ob er sich allerdings auch „innerlich politisch umgestellt“ hat, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden. „Anzeichen von staatsfeindlicher Einstellung“ konnten jedoch nicht festgestellt werden. Trotzdem ist die Gestapo Neustadt der Meinung, dass Schutzhaft angezeigt sei und Michel wird ins KZ Buchenwald „verschubt“ (überführt). In regelmäßigen Abständen von ca. 3 Monaten gibt es Haftprüfungstermine. Die Gestapo Neustadt bittet jeweils um Verlängerung der Schutzhaft,
- weil nicht anzunehmen sei, dass Michel sich „innerlich umgestellt“ hat,
- weil zu seiner „weltanschaulichen Umschulung“ noch eine längere Haft im Lager notwendig sei,
- weil seine Vorstrafen zu befürchten lassen, dass er nach Entlassung rückfällig wird.
Am 27.04.1939 ist die Gestapo Neustadt der Meinung, es reiche mit der Haft. Man „könne Michel probeweise entlassen, da angenommen werden könne, er habe sich innerlich gewandelt“.
Jedoch befürwortet das KZ Buchenwald seine Entlassung nicht, weil seine Führung und Arbeitsleistungen noch keine Besserung erfahren haben und Otto Michels „politisches Verhalten sehr zu Wünschen übrig lasse“. Die Schutzhaft wird also weiterhin im dreimonatigen Rhythmus verlängert, und seit Kriegsbeginn mit der „Staatssicherheit“ begründet. Es gibt zwischenzeitlich entsprechende Vordrucke, in die nur noch die Personalien einzusetzen sind.
Am 13.03.1942 wird er ins KZ Ravensbrück überführt, wo er am 14.09.1942 verstirbt, was den Angehörigen durch die Kripo Kaiserslautern mitgeteilt wird.
Wir erfahren etwas über die Täter
So wurde z.B. am 09. August 1946 ein Ermittlungsverfahren wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit eingeleitet, zunächst gegen Eugen Huber. Im Laufe des Verfahrens wurde gegen 19 Personen ermittelt, 6 wurden angeklagt und 4 wurden am 20.04.1950 verurteilt und zwar:
- Dambach zu 8 Monaten Freiheitsstrafe,
- Horn zu 1 Jahr,
- Scheib zu 8 Monaten,
- Schmidt zu 1 Jahr.
Alle vier Personen haben Gefangene misshandelt und sie insbesondere durch Schläge mit dem Gummiknüppel und Tritte schwer verletzt. Darunter auch den Gefangenen Zahm, der aus Angst vor weiteren Schlägen aus dem 3. Stock sprang.
Horn und Schmidt erreichten am 23.10.1951 durch Revision, dass die Strafe durch Anrechnung von U-Haft und Internierungshaft als verbüßt galt. Die Vollstreckung der Strafen gegen Seib und Dambach wurde 1952 auf dem Wege eines Gnadengesuchs zur Bewährung ausgesetzt und später erlassen. Das Verfahren gegen Huber wurde eingestellt und Böll, der laut Zahm die Anweisung für die Misshandlungen gab, wurde freigesprochen.
Wir erfahren aber auch etwas über weitere Täter
Wie z.B. die Mutter von August Flick, die am 09.02.1936 auf der Amtsstelle erscheint und angibt, dass ihr Sohn erwerbslos sei, sich regelmäßig betrinke und wahrscheinlich von jungen Pärchen Geld erpresse.
Oder den 70jährigen Vermieter Buchholz, der auf der Ortspolizei erscheint und Angaben über die politische Gesinnung seines Mieters Hermann K. macht und sagt: „Leute wie K. gehören unschädlich gemacht, es handelt sich bei diesem um einen Kommunisten und Faulenzer“.
Oder die Hilfsarbeiterin Anita G. , die am 11.04.1940 freiwillig bei der Gestapo erscheint und meldet, dass ihr Schwager Jakob S. ausländische Sender hört.
Oder die Witwe S., die am 25.10.1937 die Gestapo aufsucht und Theo T. anschwärzt, weil dieser nach der Beerdigung ihres Mannes, einem ehemaligen Kampfflieger, dem Verstorbenen vorwarf, er sei desertiert und hätte in Berlin das schlechteste Leben geführt.
Oder aber der Buchdrucker Luitpold Kumpf , der seine Ehefrau mehrmals misshandelt haben soll und sie nach ihren eigenen Angaben, einmal mit einem Lattenstück so schlug, dass sie eine Fehlgeburt erlitt.
Halt stopp! Heute zählen wir ihn zu den „Opfern“!
Was also erfahren wir aus den Akten des Landesarchivs?
Fraglich bleibt, ob es Sinn macht, die Menschen in „Täter“ und „Opfer“ einzuteilen? Trägt nicht jeder Mensch gute und schlechte Eigenschaften in sich? Funktionierte der „Apparat Nationalsozialismus“ nicht gerade deshalb, weil es die vielen kleinen Helfer gab, die all das ermöglicht haben? Ob absichtlich oder unwissentlich der schlimmen Folgen, sei dahingestellt.
„Täter“ gab es überall, auch unter den so genannten „Opfern“! Und sah sich nicht nach dem Ende der Nazidiktatur fast jeder Deutsche als „Opfer“?
Das alles sollte meines Erachtens nach nicht vergessen werden.
Diesen Aufsatz als PDF downloaden